Presse
20.01.2023 - Wildes Holz
Eine furiose Blockflötenshow voller Abwechslung, Charme und Humor
Das Trio „Wildes Holz“ begeistert bei seinem Auftritt bei „Kultur im Bürgerhaus“ / Einzigartige Mischung aus Klassik und Moderne
Mühlhausen – rka – Kaum jemand im Bürgersaal hätte geahnt, dass man einer Blockflöte eine derartige Vielfalt von Tönen entlocken kann. Das Trio „Wildes Holz“ belehrte alle Unwissenden beim Auftritt bei „Kultur im Bürgerhaus“ eines Besseren. Wenn Tobias Reisige das oft mitleidig belächelte „Kinderinstrument“ beim historischen Tanz „Pavane furioso“ spielt, dann erschließt sich ein ungeahntes Klanguniversum: Mit Trillern, Glissandos und Tönen, die man noch nie auf einer Blockflöte gehört hat. Zudem versteht sich Reisige auf Posen und Gesten im Stil eines Rockstars, genauso wie die Mitstreiter Markus Conrads am Kontrabass, den er phänomenal gleichzeitig rhythmisch schlägt und zupft, und der begnadete Gitarrist Johannes Behr. Die Drei verwandeln selbst die schnulzige Popballade „Take On Me“ in einen vielbeachteten „Kracher“.
Grobe Schnitzer sind aus dem Leben und auch aus der Musik nicht wegzudenken, gerade bei Instrumenten aus Holz. Im neuen Programm von „Wildes Holz“ geht es um genau diese groben Schnitzer, aus denen etwas Neues entsteht. Denn mit Fehlern muss man kreativ umgehen, sonst wird’s langweilig. Und selbst aus den gröbsten Schnitzern kann etwas Kreatives entstehen, wenn man Improvisationstalent und Humor besitzt, dazu die passenden Instrumente aus Holz. Virtuose Konzerte, alle Stilrichtungen überspannend, von der Renaissance über Barock, Klassik bis zur Moderne, spontane Komik und kraftvolles, virtuoses Spiel sind seit genau 25 Jahren („25 Jahre auf dem Holzweg“) die Markenzeichen von „Wildes Holz“. In seinem neuen Programm „Grobe Schnitzer“ zeigt das Trio zudem sein musikalisches Draufgängertum, kräftig beklatscht und umjubelt von einem begeisterten Publikum. Wer Fehler vermeidet, macht alles richtig. Wer aber Fehler kultiviert, der macht Musik, die fasziniert. Oder eben „Grobe Schnitzer“.
Wer an diesem Abend bei „Kultur im Bürgerhaus“ diese rasante Blockflötenshow miterlebt, muss wirklich alles vergessen, was er bisher über die Blockflöte gehört hat. Thomas Reisiger hat eine ganze Kiste mit Blockflöten in allen Größen, Höhen und Tiefen mitgebracht. Dieses vermeintliche „Kinderinstrument“ wird zu Unrecht völlig unterschätzt. Diese Lehre konnte der Musikfreund vom Konzert des Trios am Freitag im gut besetzten Bürgerhaus mitnehmen.
Wenn die drei Musiker so richtig aufdrehen, dann steigt gleichsam der Rauch aus ihren Instrumenten. Mit diesem neuen Programm und dem passenden Titel „Grobe Schnitzer“ präsentiert „Wildes Holz“ einen einzigartigen Mix aus Klassik und Moderne. Zwischendurch erinnert das Trio mit dem „Moretti-Swing“ an den langjährigen Gitarristen Anto Karaula, der im Jahre 2018 plötzlich verstorben war. Nach seinem Tod waren die Musiker „durch ein tiefes Tal“ gegangen, hatten aber mit dem Gitarristen Johannes Behr einen ausgezeichneten Nachfolger gefunden. Er spielt auf seinen Saiteninstrumenten so leidenschaftlich, als ob er schon immer dazugehörte. Als Solist auf seinem Instrument beschreibt er lautmalerisch die unterschiedlichen Stimmungen von „Ehrenfeld“, einem Stadtteil von Köln.
Das Trio bietet mehr als ein Zusammenspiel von drei Instrumentalisten. Die Band lebt einerseits von ihrer Virtuosität, andererseits auch vom hinreißenden Schwung ihres Zusammenspiels, das immer wieder durch kabarettistische Einlagen bereichert wird. Mimik, Gestik und vor allem eine ausgefeilte Choreografie mit synchronen Bewegungen bringen das Publikum zum Schmunzeln. Madonnas Welthit „Like a Virgin“ oder der Prince-Hit „Kiss“ erweisen sich als Kunststückchen. Die manchmal atemberaubenden Läufe und Melodien kommen immer wieder mit einem Augenzwinkern daher. Zwischendurch erklingt die eine oder andere romantisch-melancholische Liebesballade, doch dann setzt sich die Lebensfreude wieder durch.
Bassist Markus Conrads schüttelt fast in Trance seine Läufe aus den Saiten und er darf sich auch, unterstützt durch die Gitarre, bei einem Stück aus den Anfängen des Jazz als Solist präsentieren. Der wunderbare, satte Klang erinnert an ein tiefes Saxophon. Die Musik von „Wildes Holz“ ist überwiegend handgemacht, doch auch die modernen Zeiten haben vor dem Trio nicht Halt gemacht. Mit Hilfe der Technik ersetzt Thomas Reisige im Alleingang fast ein ganzes Orchester. Da werden Flötenklänge übereinander gelegt und mit rhythmischen Schlagzeugmustern unterlegt. Dabei entsteht eine ungeahnte Vielfalt an Klängen und Ausdrucksmöglichkeiten. Nein, die drei Herren haben auf musikalischem Gebiet keine Berührungsängste. Zwischen ernster und unterhaltsamer Musik gibt es keine Trennlinie.
Auch vor gewagten Cover-Versionen bekannter Rockklassiker macht das Trio nicht Halt, ebenso nicht vor dem Meister der Klassik, Ludwig van Beethoven, der laut Reisige „nichts für Blockflöte komponiert hat“. Deshalb schnappt man sich einfach die „Klaviersonate Nr. 8“ für ein Experiment. In einem rasanten Auf und Ab erklingt das „Allegro“, gefolgt von einem wunderbar weichen und beschaulichen „Adagio“, endend im dritten Satz mit einem furiosen „Presto“. Die „Partita in C“ von Georg Philipp Telemann bietet dem Bassisten Markus Conrads nochmals die Möglichkeit, sich solistisch zu präsentieren.
Was „Wildes Holz“ in etwa zwei Stunden bietet, ist für das Publikum Unterhaltung, Spaß und Entspannung pur, eine rasante Blockflötenshow voller Abwechslung, Charme und Humor. Die vielen musikalischen Höhepunkte offenbaren eine ausgeprägte Originalität jedes einzelnen Musikers, präsentiert mit viel Spielwitz: Rau und frech, wild und zugleich einfühlsam. Es war nach diesem mitreißenden Auftritt zu erwarten: Das Publikum ist am Schluss hin und weg, applaudiert stehend, fordert Zugaben, die es bekommt. Als Abschluss folgt ein Klassiker: Die Flötenversion der „Pipi-Langstrumpf-Melodie“.