Presse
14.10.2022 - Tilmann Birr
Klangvolles Musikkabarett und humorvolle, tiefgründige Geschichten
Der Kabarettist Tilman Birr begeistert bei Kultur im Bürgerhaus
Mühlhausen
Für das Kabarett ist Tilman Birr ein Glücksfall. Sein Programm „Birr Royal“, mit dem er bei Kultur im Bürgerhaus gastiert, zeigt er eine außergewöhnliche Vielseitigkeit – ob als Sänger scharf zugespitzter Lieder oder als mitreißender Erzähler intelligenter und witziger Geschichten. Seine frische, direkte Sprache und seine bis zur letzten Minute unverbrauchte Bühnenpräsens machen den Abend zu einem perfekten Erlebnis. Der Kabarettist ist ein Multitalent und kann mehrere Aufgaben gleichzeitig angehen. Er kann nicht nur komische Geschichten erzählen, scharfe Lieder spielen und singen und menschliche Gewohnheiten zerpflücken. Er spricht auch noch wienerisch, schweizerisch, hessisch, berlinerisch, bayrisch und sächsisch. Diese Sprachen bereiten ihm genauso viel Spaß wie die seltsamen Menschen, von denen er erzählt. Seine tiefgründige Gesellschaftssatire kreist vor allem um die Frage, warum die Welt eine solche Zumutung ist, warum die Menschen in den sozialen Medien so aggressiv sind, warum Männerausflüge immer im Rausch enden müssen. All diese Fragen nimmt er zunächst in sich auf, verdaut sie und verarbeitet sie dann zu Geschichten und Liedern. Dabei erzählt er pointenreich und oft sehr poetisch Geschichten, wie sie das Leben schreibt. Im Grunde genommen spricht er jedem aus der Seele, und keiner merkt so richtig, dass er selbst gemeint ist. Dann singt er kleine Lieder, die zunächst harmlos erscheinen und dann doch tief berühren. Seine lockere und zugleich fesselnde Art, sein Charme und die in vielen Teilen freche Sprache lassen den Abend zu einem fesselnden Abenteuer werden. Man ahnt nicht, was als nächstes kommt, aber man ist neugierig und will es wissen. Tilman Birr vereint alles, was ein Künstler seines Fachs benötigt: Er überrascht mit sprachlicher Schlagfertigkeit, eröffnet ungewöhnliche Ausblicke auf das Leben und besitzt die Fähigkeit, mit bodenständigem Mutterwitz die regionalen Unterschiede deutscher Befindlichkeiten auseinanderzunehmen. Das tut er unerschrocken, wirklich humorvoll und herrlich tief- und hintergründig, um am Ende doch festzustellen: „Menschen sind, wie sie sind.“ Damit hat er schon „eine zentrale Frage der Menschheit“ beantwortet. Mit viel Charme erteilt Birr Sprachunterricht, hinterfragt die französische Ignoranz für Fremdsprachen und demonstriert, wie Shakespeares „Romeo und Julia“ auf wienerisch, hessisch, bayrisch und sächsisch klingt. Dann durchstreift er im Schnelldurchlauf die verschiedenen Lebensabschnitte, die mit der richtigen Namensgebung beginnen: „Welchen Namen gebe ich meinem Kind“ Da laste auf den Eltern eine große Verantwortung. Für jeden Lebensabschnitt hält Tilman Birr ein Attribut bereit: Die Kindheit als „Zeit der ewigen Demütigung“, die Schulzeit, in der das Erwachsenwerden zu lange dauert. Mit 20 glaubt man, die Welt verstanden zu haben und mit 30 beginnen die ersten Panikattacken und Selbstzweifel. Er beschließt das Kapitel mit dem treffenden Lied: „Das ist normal.“ Immer wieder und immer neu entwickelt er Alltagssituationen, mixt die Puzzleteile immer wieder zu neuen Bildern, die mal krass überzeichnet, dann wieder ganz poetisch daherkommen. So klärt er die Frage, warum Alkohol nicht nur Vorteile hat, wir Deutsche im Restaurant immer getrennt bezahlen, wir am Schweizer Dialekt immer wieder scheitern und die Berliner so tolerant sind – „solange man unter sich bleibt.“ Im Lied „Mein Name ist Dirk“ bekommt dann der Öffentliche Dienst sein Fett ab. Dort lässt man sich nicht aus der Ruhe bringen nach dem Motto: „Die Welt wird schneller, wir behalten die Ruhe.“ Zwischendurch setzt Birr seine „rosa Brille“ auf, wobei aus dem „Pärchen- Paradies“ im Laufe des Tages sehr schnell eine „Pärchen-Routine“ wird. Dann passieren wieder unglaubliche Geschichten, von denen er eine in seinem Trialog „Reiseleiter im Rheingau“ wiedergibt. Dieser Ausflug an den Rhein unterstützt seine These: „Der Mensch schreibt die schönsten Geschichten.“ Und zwar Allerweltsgeschichten, die aber mehr sind, nämlich gesellschaftskritische Anmerkungen, die den Nagel auf den Kopf treffen. Hier wird schon deutlich: Birr betreibt kein politisches Kabarett, bei dem er zur Belustigung des Publikums die Mächtigen aufs Korn nimmt. Er hält nämlich seinem Publikum den Spiegel vor, wobei ihm das Kunststück gelingt, dass niemand sich getroffen fühlt. Seine Zuschauer lachen über sich selbst und zeigen somit, dass er voll ins Schwarze getroffen hat. Im gleichen Atemzug kritisiert er aber auch eine Gesellschaft, in der das Aufregen zu einem inhaltsleeren Ritual verflacht ist. Blitzschnell wechselt Birr sein Thema und leitet ins poetisch-romantische über mit dem Liebeslied: „Folge deinem Herzen.“ Dabei rät er, zwar den Verstand zu gebrauchen, aber dem Herzen zu folgen, denn „das Herz sagt, was wichtig ist.“ Mit einem „guten Gefühl“ sollen seine Zuhörer nach Hause entlassen werden. Deshalb folgt ein Trost, „der uns alle verbindet“: „Wir sind alle Menschen.“ Tilman Birr hat mit einer Kombination aus messerscharfer Parodie, intelligenter Comedy, klangvollem Musikkabarett und lustigen Geschichten die Besucher bei Kultur im Bürgerhaus begeistert.