Buergerhaus Muehlhausen im Kraichgau

Seitenbereiche

Seiteninhalt

Presse

28.02.2020 - Das Geld liegt auf der Fensterbank, Marie

Autor: Rudi Kramer

Was sich neckt, das liebt sich

Das Kabarett-Duo Wiebke Eymess und Fridolin Müller begeistert bei Kultur im Bürgerhaus

Mühlhausen – rka – Sie lieben und sie necken sich: Wiebke Eymess und Fridolin Müller aus Hannover sind privat und auf der Bühne ein Paar. Als Kabarett-Duo „Das Geld liegt auf der Fensterbank, Marie“ eroberten sie am vergangenen Freitag die Bühne von Kultur im Bürgerhaus. Sie sind frech, zwischendurch auch romantisch und halten dem Publikum den Spiegel vor, das sich in so mancher Szene selbst erkennt. Der Künstlername klingt zwar sperrig, ihr Programm „Gleich knallt´s“ ist aber voll aus dem Leben gegriffen und erntet viel Applaus. Der Funke ist schnell übergesprungen. „Ihr seid toll! Danke für den schönen Abend!“ Abschied gleich zu Beginn anstatt Begrüßung – so etwas hatte das Publikum im Bürgerhaus noch nicht so oft erlebt. Selbstverständlich sollte es an diesem Abend nicht um seinen Spaß gebracht werden.

Selbst in Partnerschaften, in denen die Chemie stimmt, kann es zischen, qualmen und auch mal knallen. Das wissen die beiden Kabarettisten ganz genau. In ihrem Auftritt, den sie vor ausverkauftem Haus präsentieren, lassen sie es allerdings nicht nur in ihrer Beziehung eskalieren, denn auch die Kritik an der Gesellschaft kommt nicht zu kurz. Zunächst einmal täuscht aber der erste Eindruck. Wiebke Eymess und Fridolin Müller wirken so, als ob sie kein Wässerchen trüben könnten. Zwei Träumer, die eigentlich nur spielen wollen. Untadelige Unschuldslämmer, die unter dem Baum der Erkenntnis grasen. Ja klar, soweit der erste Eindruck. In Wirklichkeit hat es das Duo, das beständig einen Kleinkunstpreis nach dem andern abräumt und jetzt mit seinem Programm „Gleich knallt´s“ als kabarettistische Adam-und-Eva-Variante das Publikum begeistert, faustdick hinter den Ohren.

Eine Pointe jagt die nächste, eingebettet in ein neckisches Dauerfeuer, das so gar nicht aufgesetzt erscheint und bei diesem Paar so herrlich charmant rüberkommt. Wiebke Eymess, die weibliche Hälfte von „Das Geld liegt auf der Fensterbank, Marie“ macht den Auftakt der äußerst vergnüglichen zwei Stunden mit einer kleinen Zeitreise, um sich unter den Zuschauern „Frohnatur Rudi“ auszusuchen, der beim Verstecken eines roten Balls behilflich sein soll. Gleich darauf wird es weniger lustig, wenn sie ein paar Fakten liefert, etwa, dass ein Prozent der Weltbevölkerung so viel besitzt wie der Rest, oder dass pro Tag 66 Hektar Land in Deutschland versiegelt werden, oder im Syrienkrieg schon eine halbe Million Menschen starben, oder Tonnen von Plastikmüll in den Weltmeeren entsorgt werden. Auch die Massentierhaltung und die Konsumgier der Menschen nimmt sie ins Visier. „Das sind die Fakten, die die Welt nicht braucht, wir brauchen eine Lösung. Wie wäre es mit Selbstauflösung? Das Paar ist sich einig: „Ist die Menschheit vielleicht nur ein dummes Zwischenspiel“?

Das Künstlerehepaar stammt aus Hannover, „der Hauptstadt des deutschen Humors“, sind aber vor einiger Zeit mit ihren beiden Kindern aufs Dorf in Niedersachsen gezogen, weil Wiebke das wollte. „Harald Schmidt hat gesagt, dass Hannover zwar nicht der Arsch der Welt ist, man ihn von dort aus gut sehen kann. Genau da steht unser Haus“, so sein Kommentar. Er ärgert sich, ihr das Abo von „Landlust“ geschenkt zu haben, „das Pornoheft für Frauen“. „Ich gelte hier ja schon als Öko-Trulla aus der Großstadt“, kontert sie. Munter legt das Paar mit seinen Sticheleien los und lässt bei der Verteilung der Geschlechterrollen kaum ein Vorurteil aus: Sie nicht anstrengend, aber gestresste Zweifachmutter, Hausfrau, Partnerin, Künstlerin und Fan des Landlebens. Er: ein wandelndes Lexikon, Freund kurzer Sätze, Stadtmensch und nicht in der Lage, „eine Spülmaschine richtig einzuräumen“. Das sei „sexistisch“, so wehrt er sich. Schließlich sei das Geschlecht doch nur ein „soziales Konstrukt“. Wiebke hingeben versteht die Aufregung ihres Ehegatten gar nicht, denn als weißer, mitteleuropäischer Mann zähle er ja zu den „privilegiertesten Menschen der Welt“.

Nun waren die beiden ja mit ihren Kindern auf der Suche nach etwas Größerem auf dem Land gelandet, dort wo die Welt angeblich noch in Ordnung ist, wo die Kinder mit der Milchkanne losziehen und die Mütter fröhlich Zwiebelkränze flechten, wo es noch den Biobauernhof gibt, wo es aber die Brötchen aus „chinesischen Teigrohlingen“ nicht beim Bäcker, sondern an der Tankstelle gibt, wo man ohne Allergien lebt und jeden Morgen durch Vogelgezwitscher geweckt wird. Aber wie lange noch? Singend malen die beiden eine zutiefst traurige Zukunftsperspektive an die Wand: „Stumm, stumm, stumm, fliegt auch auf dem Land kein Bienchen mehr herum,“ mit diesem Song bedauern sie das „Bienensterben im Akkord“ und fragen sich „Sag mir, wo die Bienen sind“ Auch das gibt es auf dem Land: Monokulturen aus Mais oder Getreide, Glyphosat, Kirschlorbeer statt Blumenbeete. Da schafft es auch Wiebke nicht, das Artensterben aufzuhalten. Gut, dass es Honig aus Südamerika und Bioessen per Post gibt.

Dazwischen stellen die beiden immer wieder Fragen, die sich um ihre Beziehung drehen. Er: „Was nervt dich an mir“ Antwort: „Hoffentlich wird mein nächster Mann genauso emotional.“ Retourkutsche: „In deinem Kopf möchte ich nicht sein.“ Und wie steht es mit der Gleichberechtigung? Wenn er sich ständig ins WC einschließt, um der „Drecksarbeit“ auszuweichen und sich „aus dem Familienalltag rauszuschummeln“ In vielen Szenen schaffen die beiden den Spagat zwischen gesellschaftskritischen Themen und dem Privatleben und entwickeln dabei wunderbar verschrobene Zwiegespräche. Politik fängt eben in den eigenen vier Wänden an. So werden Wortspiele und Politisches verquickt mit Gefühlswelten, in die das Paar so reinrutscht. „An Scheidung habe ich nie gedacht. An Mord ja, aber nicht an Scheidung!“ betont Fridolin.

Und so frotzeln und streiten sie, sagen Sätze, nach denen sich normale Paare vor dem Scheidungsrichter wiederfinden würden. Im Song „Smartphonie“ klingt es zunächst nach Versöhnung, der gleich ein herber Dämpfer folgt: „Ich weiß, du wirst mich immer lieben, aber nie so viel wie dein iPhone 7“. Doch spätestens beim gemeinsamen Bossa Nova ist die Welt wieder in Ordnung. Wiebke spielt stets die Naive. Ihre verrückten Assoziationen schlagen regelrechte Purzelbäume. Da kann es schon passieren, dass Lessings „Ringparabel“ herhalten muss, dass das gemeinsame Auto „irreparabel“ kaputt ist. Fridolin dagegen mimt immer den Mann mit Durchblick – und wenn nötig den Macho. Am besten ist ihr Paargeplänkel dann, wenn er in ihre Gedankenwelt eintaucht, weil ihr wieder nicht die richtigen Begriffe einfallen.

Die beiden Comedians outen sich aber auch immer wieder als hervorragende Musiker, die sowohl mit der Gitarre und Ukulele als auch mit der kleinen Ziehharmonika umzugehen wissen. Die übertriebene Konsumfreudigkeit gibt den beiden Anlass für das Lied: „Ich schiebe mein Baby im Buggy durch die Stadt, bis mein Baby jeden Starbucks der Stadt gesehen hat“. Eine Gesangseinlage über „alte, weiße Männer“ darf nicht fehlen, bei der auch der amerikanische Präsident nicht ungeschoren davonkommt („Amerika braucht keine Satire, Amerika hat ja Trump“). Dazu gesellt sich die selbst geschriebene Hymne für das Vaterland: „Deutschland, du bist wunderschön“. Zusammen mit den schnellen, sprachakrobatischen Dialogen wird daraus eine abwechslungsreiche Unterhaltung. Wäre noch die Frage nach dem Verbleiben des roten Balls zu klären. Den bekommt Fridolin von Rudi zurück, um mit vier Bällen zu jonglieren und gleichzeitig ein Gedicht aufzusagen. Atemberaubend! Ein sehr intelligent gestalteter Abend, Kleinkunst der besonderen Art. Noch ein Rätsel galt es zu lösen: Woher hat das Duo diesen sonderbaren Namen? Die Zugabe löste diese Frage. Ein Mann legt nach einem Liebesdienst Geldscheine auf die Fensterbank und verabschiedet sich: „Die Nacht war schön, Marie“, was Eymess und Müller in ein Kompliment an das Publikum umwandeln: „Die Nacht war schön, Mühlhausen!“